Strohausen, ein vergessener Winkel

(Veröffentlicht 1935 von Eduard Krüger)

Er trug ein unverdientes Schicksal, dieser einst so besuchte und bedeutende Kleinhafen des Stadlandes. Er glitt hinab vom Ansehen eines bekannten Schifffahrtsplatzes und Sielortes in eine Abgeschiedenheit, die dem Vergessen gleichkam. Geblieben ist ihm nur der Trost, dass noch Menschen wissen um seine Vergangenheit im Dienste des Güteraustausches unserer Marschen, geblieben sind aber auch die Reize einer Beschaulichkeit und Gediegenheit, die am langen Ufer unseres Stromes selten geworden sind. Ja, wer heute eine stille Stunde in diesem vergessenen Weserwinkel verbringt, der mag überrascht sein von der Traulichkeit und Schönheit Strohausens, der Ortschaft und des kleinen Sielhafens, und nicht ahnen, welch' Leben einst seine Räume füllte. Und doch, das forschende Auge ergründet bald, dass jene großen Kaufmannshäuser , die binnendeichs die dörfliche Straße beherrschen, auf Zeiten zurückblicken, denen Strohausen Leben und Wohlstand verdankte. Alteingesessene Familien stapelten hier ihre Waren, ein weites Hinterland führte die Kundschaft hin und her bis nach Schwei und Seefeld.  Es war die Zeit der Kahnschiffer und des Butterhandels.  Karrenweise und in rauhen Mengen brachte man das fettreiche Landesprodukt nach Strohausen, verfrachtete es auf die Kähne der sogenannten "Botterschipper", um nach ihrer Rückkehr aus der großen Stadt klingende Münz zum Kauf lebensnotwendiger Güter entgegenzunehmen. Aber damit nicht genug, die Kahnschiffer waren gleichzeitig die Lieferanten der ländlichen Kaufleute, denn auf der Rückkehr von der Butterfahrt nach Bremen brachten sie die Kolonialwaren mit, die der Kleinhändler oft genug sehnlichst erwartete. So wurde mangels anderer Verkehrsmöglichkeiten  der Kahnschiffer der begehrte und unentbehrliche Mittelsmann zwischen der Stadt und dem Land, zwischen Bauer und Händler, und es bleib nicht aus, dass dieser Art Handel und Wandel Wohlstand ins Haus brachte.  Man bedenke doch, dass im Jahre 1866 zu Strohauser Siel 505 Schiffe ankamen und 494 Schiffe abgingen, dass in diesem Jahr eingeführt wurden



2411 Scheffel Weizen,
22153 Scheffel Roggen,
204 Scheffel Hülsenfrüchte,     
33474 Pfund Petrolium,
130550 Scheffel Reisabfälle,
225 1/2 Last Steinkohlen,
2010 Last  Sand

 
und dass ausgeführt wurden


36 
Scheffel
Weizen,
288
Scheffel
Roggen,
3972
Scheffel
Gerste,
13964
Scheffel
Bohnen,
854
Scheffel
Rapssaat,
3727
Stück
Schweine,
425
Stück
Schafe,
1217
Stück
Enten und Hühner,
17130
Stück
Eier,
538320
Stück
Ziegelsteine,
205987
Pfund
Butter und 
11426
Pfund
Fleisch.
 

 

Aber damit nicht genug! Strohausen war in jenen Jahren nicht nur Schifffahrtsplatz für Getreide, Steine, Holz, Kohl, Torf, es war lange zeit auch Auswandererhafen für die friesischen Lande zwischen Dollart und Weser.  Zu Beginn und vor allem um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nahmen Tausende den Weg über den Ozean, um fern der Heimat ein neues Leben und Glück zu suchen. Sind doch allein im Jahre 1850 von Bremen aus 25776 Menschen in fremde Länder befördert worden, davon 650 Personen aus dem Oldenburger Lande!

Weil eine Bahn von Bremen nach Bremerhaven noch nicht gebaut war, brachte man die oft in großen Scharen anrückenden Reisenden mittels Schleppzüge nach Bremerhaven, wo die Auswanderer im "Auswandererhause" die Abfahrt abwarteten, "einem der großartigsten Bauwerke der neuen Zeit, welches 2200 Personen Logis und Kost geben kann." (Karlsburg).

Die artbewussten Ostfriesen - Ostfriesland stellte besonders viele Auswanderer! - fühlten jedoch kein Verlangen, mit diesen Land- und artfremden Polacken die Gemeinschaft zu teilen. Sie kamen deshalb mit Pferd und Wagen von Ostfriesland nach Strohausen, um hier bis zur Abfahrt der New York- Bremer Postdampfschiffe Quartier zu nehmen.

Ein Flurenpfad und ein Wagenweg führten damals längst des Sieltiefes zum weiter hinausliegenden Strohauser Anleger, der nur gegen vorherigen Erlöses einer Marke betreten werden durfte. Hier hielten in den 50er Jahren auch die kleinen Dampfschiffe "Paul-Friedrich-August", "Oldenburg" und "Hanseat" der "Weser-Hunte- Dampf- schifffahrtsgesellschaft", die den Verkehr zwischen Bremen, Oldenburg und Bremerhaven vermittelten und auch Strohausen ansteuerten. Noch im Jahre 1865 betrug die Zahl der die Anlegestation Strohausen aufsuchenden Schiffe in Ankunft und Abfahrt 9550.

So ist es zu verstehen, dass Strohausens Bedeutung als Hafenplatz des Stad- und Butjadingerlandes mehr und mehr wuchs, dass sein Name binnen- und butendieks einen guten Klang hatte. Es war Nebenzollamt 1. Klasse - das Zollhaus seht noch jetzt am Hafen - und die zweirädrigen Karren der reitenden Post. die seit den zwanziger Jahren des vergangen Jahrhunderts wöchentlich dreimal Strohausen erreichten, konnte bald die Menge der Wünsche nicht fassen, die den betriebsamen Platz mit der größeren Welt verbanden. Binnendieks herrschte reges Schaffen. Es gab hier eine Bierbrauerei für einfaches Bier und eine Ziegelei, die später abgebrochen wurde, um den links vom Sieltor stehenden Häusern Platz zu geben. Außendeichs stand unmittelbar am Sieltief eine Windmühle, sie brannte 1912 ab. Hier standen und stehen im übrigen zwei Schifferhäuser, das Zollhaus, ein Lagerhaus und die Wirtschaftsgebäude der genannten Mühle, während zur Rechten des kleinen Hafens ein Ladeplatz und eine Wirtschaft Raum fanden.

Heute träumen sie alle von vergangenen Tagen und Zeiten, die längst entschwanden. Einige unentwegte Fahrzeuge sind die einzigen, die aushielten, einige Lagerhäuser die letzten Zeugen entschwundene Wohlstandes. Die Weserkorrektion und die damit zusammenhängende Verlegung des Flussbettes gaben Strohausen den Todesstoß. Sie drängten es mehr und mehr ab vom großen Weserstrom, und Leitdämme besiegelten das harte Schicksal, das Strohausen trug angesichts einer größeren Vergangenheit. Bleibt noch ein Wort zu sagen über den Siel, der Vergangenheit und Gegenwart überdauerte. Das älteste uns von ihm überkommene Zeugnis lautet, dass im Jahre 1658 ein Zug mit 30 Wagen nach dem Ammerland gemacht wurde, um Sielholz zu holen. Im Jahre 1708 ist das eine Außentief zu Ende gebracht und das alte renoviert worden, so gekostet 1511 Thlr. 5 Grt., eine Arbeit, die zum "Lawai", das ist Aufruhr und zu ernstlichen Ruhestörungen führte. 1773 wurde ein neuer steinerner Siel erbaut. Der Sandstein dazu kostete 10125 Mark. 

Der Steinhauer Wetjen in Bremen erhielt für die Herstellung des Steinbaues 825 Mark, der Sielmeister Jürgen Oetken für Raum- und Zimmerarbeiten einschl. des Einsetzens der Türen und des Schottes, Schlagens der Vordämme und der Sielflügel, Herausbringens des alten Sieles usw. 2640 Mark. Die Reinigung der Sielkuhle verrichteten die Hofdienstpflichtigen. 


IM JAHRE 1773 ALS IHRO EXCELL: DER HR. GEHEIME

RATH B: V: WEDEL. J.OBERLANDDROST HR: JUSTIZ

RATH HUNRICHS UND HR. CAMMER ASSESSOR SCHMIDT

DEICHGRÄFEN HR. JUSTIZRATH SCHMIDT UND HR.

CANTZLEIRATH SCHÜTTE MIT DEM ADMINISTRATOR

TÖLLNER BEAMTE SYABBE GRISTEDE UND JÜRGEN

WULF SIELGESCHWORENE WAREN IST DIESER NEUE

STEINERNE STROHAUSER SIEL VON DEM SIELMEISTER

JÜRGEN ÖTKEN ERBAUT WORDEN


Aber schon bald zeigte sich, dass der Sielboden eine zu hohe Lage erhalten hatte, ein Übelstand, der noch einige Verschlechterungen erfuhr, als im Jahre 1809 über ihm ein starker sicherer Belag gebracht werden musste, um Undichtigkeiten zu vermeiden. Immerhin, bis zum Jahre 1912 sollte es noch dauern, bis ein neuer Siel aus Eisenbeton gebaut wurde. Der boden dieses neuen Strohauser Sieles wurde 0,80 m tiefer gelegt als der des alten Sieles.

Der Hauptsiel fasste die Länge von 12,14 m, der Aussenvorsiel von 4,35 m. Die beiden Öffnungen erhielten eine Weite von je 2,10 m, ferner wurden Fluttüren und Regulierschutzvorrichtungen für Sturm- und Ebbeverschluss angebracht. Die Kosten des neuen Sieles betrugen72500 Mark, wozu der Landtag 20000 Mark als Zuschuss aus dem Weserbaufonds bewilligte.